Marcello Fois wurde in Nuoro geboren und in den 1990er Jahren zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten Schriftsteller der Insel. Drei Bücher über menschliche Schicksale, Zukunftsbewältigung und Schwesternliebe haben mir besonders gut gefallen.

Einer meiner Lieblingsautoren ist der Schriftsteller Marcello Fois, der mich mit seinen Romanen auf seine Heimatinsel Sardinien entführt. Es ist bewundernswert wie Fois seinen Stoff und das enge sardische Milieu sprachlich bewältigt. Mit präzisen Strichen zeichnet er ein vielfältiges Geflecht von plastischen Figuren und Situationen. Es sind bittere, sehr sardische Geschichten, aber ebenso außergewöhnlich schöne Episoden dabei.

Seinen Aufstieg in den neunziger Jahren hat Fois seiner Bustianu-Trilogie Sempre caro“ (Tausend Schritte), „Sangue dal cielo“ (Himmelsblut) und „L’altro mondo“ (Die blaue Zunge) um den Strafverteidiger Bustianu zu verdanken, die im Nuoro des 19. Jahrhunderts spielt und weit mehr erzählt als nur von Mord und Ermittlung. Neben seinen skurrilen Sardinien-Krimis begeistert Fois seine Leser auch mit Romanen wie „Stirpe“ (Die schöne Mercede und der Meisterschmied) und „Nel tempo di mezzo“ (Zwischen den Zeiten). Die beiden Werke sind sprach- und wortmächtig. Selten zuvor hat mich eine Familiensaga so gefesselt. Fasziniert und erschüttert zugleich hat mich auch seine Erzählung L’importanza dei luoghi comuni“ (Schwestern, die alte Geschichte).

In der Zwischenzeit hat Fois ein neues Buch rund um den Ersten Weltkrieg geschrieben. Knapp 160 Seiten lang ist der Roman „Pietro e Paolo”, in dem Fois seine Leser wieder mit nach Sardinien nimmt.

Buch-Tipp 1: Die schöne Mercede und der Meisterschmied

Der Generationenroman, der zwischen dem Ende des 19. Jh. und dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Sardinien spielt, schildert nicht nur das beklemmende Panorama dieser Zeit, sondern auch die Geschichte einer Familie, die von unsagbar vielen Schicksalsschlägen heimgesucht wird. Ein Holzboden, der den Träumen und der Daseinsberechtigung die Nahrung verbietet. Dennoch streben der Waise Michele Angelo Chironi und die uneheliche Mercede Lai nach Glück und Erfüllung, müssen aber erfahren, dass diese immer wieder von tragischen Ereignissen überschattet werden.

Ihre erste Begegnung führt nach acht Monaten in die Ehe. Michele Angelo ist Schmied und bringt es mit dem Bauzuwachs von Nuoro zu einem neidvoll bewunderten Wohlstand. Mercede bringt trotz zwei Totgeburten fünf Kinder zur Welt – die Zwillinge Pietro und Paolo, Gavino, Luigi Ippolito und Marianna. Das herkunftslose Geschlecht der Chironis scheint von Glück verwöhnt. Doch eines Tages werden die Zwillinge ermordet aufgefunden. Michele Angelo und Mercede sind fassungslos und zweifeln aufgrund ihrer Herkunft an ihrer Daseinsberechtigung.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht zieht Luigi Ippolito freiwillig in den Krieg. Er wird verletzt und landet schließlich in der Irrenanstalt. Gavino outet sich als Homosexueller, wird daraufhin misshandelt und geächtet und beschließt nach Australien auszuwandern. Marianna lebt mit einem Juristen und ihrer kleinen Tochter in Cagliari. Nachdem ihr Mann und das Kind einem faschistischen Überfall zum Opfer gefallen sind, kehrt sie ins Elternhaus zurück.

Eines spätnachmittags verschwindet Mercede ohne ein Wort des Abschiedes. Kurz danach erfahren Michele Angelo und Marianna vom Tod Gavinos. Nur der Besuch eines Flüchtlings bringt wieder Leben ins Haus Chironi. Obwohl er ein Fremder ist, kommt er Vater und Tochter bekannt und vertraut vor.

Buch-Tipp 2: Zwischen den Zeiten

In Zwischen den Zeiten, dem zweiten Familienroman der Chironi beginnt ein neues Kapitel: Vincenzo Chironi ist der Sohn von Luigi Ippolito Chironi und Erminia Sut da Cordenons aus dem Friaul. Wie einst seine Großeltern im ersten Buch „Die schöne Mercede und der Meisterschmied“ strebt auch Vincenzo nach Glück und Erfüllung, und muss zu guter Letzt aber bitterlich an der Realität scheitern.

1943 setzt Vincenzo, der in einem Waisenhaus in Triest aufgewachsen ist, zum ersten Mal nach Sardinien über. Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen aus den ausgebombten Kriegsgebieten Norditaliens soll er auf der Insel ein neues Zuhause finden. Doch es ist eine Reise ins Ungewisse. Mit einem alten Dokument, das seinen Namen und sein Geburtsdatum bescheinigt, sucht er nach seiner Identität und einer Zukunft. In Nuoro trifft er seinen Großvater, den Schmied Michele Angelo Chironi, der bei ihm die Vaterrolle übernimmt. Hingebungsvoll nimmt sich auch seine Tante Marianna seiner an, um über einen schweren Schicksalsschlag hinwegzukommen. Wenige Jahre später verliebt Vincenzo sich in die einzige Frau, die ihm verboten ist: Cecilia, die Verlobte von Nicola, mit dem er halb verwandt ist. Und plötzlich bahnen sich Schicksalsschläge an, die die Verliebten trennen.

Mit „Die schöne Mercede und der Meisterschmied“ und „Zwischen den Zeiten“ sind dem Schriftsteller Marcello Fois zwei stimmungsvolle Werke gelungen, in denen sich menschliche Schicksale einstellen wie das regelmäßige aufeinanderfolgen der Jahreszeiten. Die mit ungeheurer Sprachgewalt beschriebene Landschaft übt eine besondere Anziehungskraft auf die Romanfiguren aus, die genauso rüde sind wie die Dornensträucher, die auf Sardinien wachsen. Keine Werke zum Verschlingen, sondern zwei Bücher, in denen man jedes einzelne Wort auskostet und am besten in aller Stille genießt.

Die schöne Mercede und der Meisterschmied“ und „Zwischen den Zeiten“ sind zum Beispiel bei amazon.de zu bestellen.

Buch-Tipp 3: Schwestern. Die alte Geschichte

Eine Familie, die hatten Marinella und Alessandra bis sie acht Jahre alt waren. Danach verschwindet der Vater und prägt die Zwillingsschwestern vor allem durch seine Abwesenheit. Die Geschwister können nicht verwinden, dass ihr Vater sie so früh verlassen hat. Als er vierzig Jahre später stirbt, treffen sie sich in seiner Wohnung und betreten ihre Kindheit.

Inmitten vertrauter Gerüche, schmerzhafter Erinnerungen und vorwurfsvoller Blicke tauschen sie abwertende und zynische Bemerkungen aus. Bald wird klar, dass die Schwestern sich zwar äußerlich gleichen, aber so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht. Und dann unterbricht plötzlich die Nachbarin ihre bissigen Gespräche. Sie steht mit einem Brief in der Wohnung, der scheinbar vom Vater stammt.

In diesem wundervollen Buch erzählt Fois die Geschichte einer schmerzhaften Trennung. Es ist fast eine Abrechnung mit den Erinnerungen und dem Treiben in der Familie, in der Offenheit, kleine Geheimnisse, Täuschungen und Lügen die Lebensgemeinschaft zusammenhalten oder für immer zerstören können. Die Sprache von Fois ist von poetischer Stimmung und großer Sanftheit geprägt. Nie verliert er sich in Kitsch. Ein gefühlvolles Werk und intim wie ein Kammerspiel!

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Zur Person

Marcello Fois, Jahrgang 1960, lebt und arbeitet als Schriftsteller, Dramaturg und Drehbuchautor in Bologna. Er ist Vertreter der Erneuerungsbewegung der sardischen Literatur „Nuova letteratura sarda“ (NLS) und gehört zu den Gründern des LiteraturfestivalsL’isola delle storie”, das alljährlich in Gavoi organisiert wird. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet u.a. mit dem „Premio Italo Calvino“, dem „Premio Dessì“ und dem „Premio Giorgio Scerbanenco“.