Das Künstler- und Bergdorf Ulassai liegt rund 30 Autominuten südwestlich von Bari Sardo. Der 1400-Seelen-Weiler in der Ogliastra ist nicht nur ein populärer Kletterspot, sondern auch der Geburtsort von Maria Lai, eine der Hauptfiguren der italienischen „Arte Povera“.
Idyllisch schmiegt sich das verschlafene Künstler- und Bergdorf Ulassai in 775 Metern ü. d. M. an die Flanken des mächtigen Monte Tisiddu und des Tacco di Ulassai. Hier erstreckt sich eines der bekanntesten Klettergebiete Sardiniens mit zahlreichen gut abgesicherten Routen. Unter dem Tacco di Ulassai verbirgt sich zudem nach Forscherangaben eine der größten Tropfsteinhöhlen Europas. Die Grotta Su Marmuri dehnt sich über 850 Meter aus und besitzt Räume in denen es 70 Meter in die Höhe geht.
Flechten, Knüpfen, Spinnen, Sticken, Weben
Noch nicht so bekannt und daher ein echter Geheimtipp ist die „Stazione dell’Arte„. Das Museum für Zeitgenössische Kunst ist dem Werk von Maria Lai, eine der Hauptfiguren der sogenannten italienischen “Armen Kunst”, gewidmet. Die Ausnahmekünstlerin, die 1919 in Ulassai geboren und 2013 in Cardedu gestorben ist, nannte die Kunst „das Spiel der Erwachsenen“. Und tatsächlich enthält ihr Werk stark spielerische Komponenten. In den 1980-er Jahren beginnt sie auf Leinenstoffseiten „genähte Märchen“ (fiabe cucite) zu illustrieren und entwirft ihre ersten „genähten Bücher“ (libri cuciti), in die sie unlesbare Zeilen einstickte. In einer Zeit, in der noch der Konservatismus die Szene beherrschte, wirkte das außergewöhnlich. Sie gestaltete Webrahmen zu Skulpturen und Bildkompositionen um, erfand Kinderreime, entwarf ein Brettspiel, malte und backte Brot.
Erstes Werk relationaler Kunst in Italien
Maria Lai war überzeugt davon, dass die Kunst Dinge miteinander verbindet. Da das Zusammenleben im Künstler- und Bergdorf nicht immer einfach war und auch Spannungen mit sich brachte, lud sie die Dorfgemeinschaft 1981 ein, an einer gemeinsamen Aktivität teilzunehmen. Ein blauer Stoffstreifen sollte alle Dorfbewohner untereinander und mit dem Berg verbinden. „Legarsi alla montagna“ (sich mit dem Berg verbinden) hieß das Projekt, das ein soziales Umfeld schuf, in dem die Ulassesi – auch diejenigen, die sonst nichts miteinander zu tun haben wollten – zusammenkamen. Es war das erste Werk einer „Relational Art“ in Italien. Das Gesamtwerk von Maria Lai, die ihrer Zeit einfach voraus war, ist vielseitig und wird seit 2006 im alten Bahnhof von Ulassai ausgestellt. Die „Stazione dell’Arte“ wurde historisch restauriert und besitzt heute die größte öffentliche Sammlung ihrer Arbeiten.
Aber auch im Dorfzentrum können Besucher einen Blick auf das Werk von Maria Lai werfen. Neben der Via Venezia, bieten die Pfarrkirche, die Fassade des Kindergartens und das alte Waschhaus Einblicke in die Arbeiten der Künstlerin. Für das „lavatoio“ schuf sie einen Webrahmen als Deckenschmuck. Daneben haben Costantino Nivola, Guido Strazza und Luigi Veronesi den ehemaligen „Waschsalon“ verschönert.
Mehr Informationen zum Museum, Maria Lai und Ulassai gibt es unter www.stazionedellarte.com. Infos zur Schauhöhle gibt es unter www.grottasumarmuri.it.